
Was wirklich zählt
Flora und Michaela, ihr habt in San José vor allem Kinder und Jugendliche betreut. Welche Eindrücke konntet ihr mitnehmen?
Flora: Bei den Don Bosco Schwestern gibt es ein Internat für Mädchen, eine Schule und einen Kindergarten. Die Kinder und Jugendlichen sind zwischen zwei und 19 Jahre alt und kommen aus extrem armen Verhältnissen – oft haben sie sehr junge Eltern oder wachsen nur bei der Mutter auf. Es war beeindruckend, zu sehen, wie sie und ihre Familien mit den Herausforderungen umgehen.
Michaela: Viele der Jugendlichen kommen aus gefährlichen Stadtvierteln. Bei den Schwestern bekommen sie die Möglichkeit, in Ruhe zu lernen, regelmäßig zu essen und der Armut und Gewalt ihres Umfelds zu entkommen. Ihre Geschichten sind individuell. Der größte Unterschied zu meiner eigenen Kindheit ist sicherlich, dass ihnen viele Chancen fehlen, die für mich selbstverständlich waren.
Flora: Besonders berührt hat mich ein Erlebnis im Oratorium in Tirases, einem sehr armen Viertel von San José. Ein Kind erzählte mir, dass es sich auf seinen Geburtstag freut, weil es mit seiner Mama zu McDonald’s gehen darf. Dieser Moment hat mir meine eigenen Privilegien sehr deutlich gemacht und mich tief nachdenklich gestimmt.
Abwechslungsreiche Tage: Flora und Michaela packten überall mit an - auch in der „Guarderia“, dem Kindergarten.
Bei welchen anderen Projekten der Schwestern konntet ihr euch noch einbringen?
Flora: Wir wurden in viele verschiedene Bereiche eingebunden, was für viel Abwechslung sorgte. Jeden Morgen beim Frühstück wurde besprochen, was tagsüber ansteht.
Im Bazar sortierten wir Kleiderspenden für Bedürftige. Bei der Verteilung von Essenspaketen – einem Projekt für die sogenannten „Margaritas“, Frauen im Alter zwischen 40 und 80 Jahren – ging es nicht nur um Lebensmittel, sondern auch um Aufklärung. Die Frauen erhalten dabei auch Beratung zu Hygiene, Gesundheit und Lebensqualität. Der direkte Kontakt mit den Menschen zeigte uns, wie wichtig diese Hilfe ist.
Michaela: Viele dieser Frauen haben tragische Lebensgeschichten. Einige sind völlig auf sich gestellt, weil ihre Familien im Ausland leben oder der Kontakt abgebrochen ist. Eine Frau erzählte mir, dass sie ein Haus in den Bergen geerbt hatte – das jedoch durch einen Erdrutsch zerstört wurde. Ihre Geschwister leben alle im Ausland, sie hat keinen Kontakt mehr zu ihnen. Zu Weihnachten wollte sie ihrer Schwester in Spanien eine Postkarte schicken, hatte aber nicht einmal die Adresse. Als sie mir ein Foto ihrer Schwester zeigte, fing sie plötzlich an zu weinen.
Gemeinschaft erfahren: Michaela (li.) und Flora (re.) fühlten sich bei den Don Bosco Schwestern wohl.
Hat der Freiwilligendienst eure Zukunftspläne beeinflusst?
Michaela: Nicht direkt, aber vielleicht mache ich später an der Uni ein Auslandssemester in Spanien, um mein Spanisch noch weiter zu verbessern.
Flora: In Hinblick auf mein Studium auch nicht, nein, aber er hat meine Einstellung zum Leben verändert. Ich empfinde jetzt mehr Dankbarkeit und Zufriedenheit.
Jetzt, wo ihr wieder zu Hause seid – was aus Costa Rica vermisst ihr am meisten?
Michaela: Das warme Wetter, die Menschen und ihre offene, herzliche Art. Ich liebte die vielen Feste und dass dort alles etwas lockerer war – niemand war übertrieben pingelig. Die Arbeitsmoral ist entspannter. Am Ende zählen dort Freundschaft, Familie und das Miteinander mehr als Perfektionismus.
Flora: Ich vermisse das typische Frühstück mit Gallo Pinto und frittierten Bananen, die wunderschönen Strände und die Natur – und natürlich Michaela, die ich jetzt nicht mehr jeden Tag sehe.
Interview: Karoline Golser, Foto: privat