
Sr. Yvonne Reungoat über ihre Erfahrungen mit Papst Leo XIV.
Schwester Yvonne Reungoat, emeritierte Generaloberin der Don Bosco Schwestern und seit 2022 Mitglied des Dikasteriums für Bischöfe beim Heiligen Stuhl, gewährt in einem Interview Einblicke in ihre persönliche Bekanntschaft mit Papst Leo XIV. Sie hat den neuen Papst kennengelernt, als er noch Präfekt des Dikasteriums war.
Welche Eigenschaften seiner Persönlichkeit fallen Ihnen besonders auf?
Im Jahr 2023 wurde er, damals Kardinal Robert Francis Prevost, von Papst Franziskus zum Präfekten ernannt – eine Aufgabe, die er mit großer kirchlicher Leidenschaft und Hingabe erfüllt hat. Wir trafen uns regelmäßig alle zwei Wochen zu den von ihm geleiteten Versammlungen.
Papst Leo XIV. besitzt eine beeindruckende Persönlichkeit. Tief spirituell, gelassen und unkompliziert; er kann gut zuhören und hat ausgezeichnete zwischenmenschliche Fähigkeiten. Er ist wirklich präsent bei jedem Menschen, dem er begegnet. Er verfügt über eine ausgeprägte Fähigkeit zur Unterscheidung und versteht es, Situationen im Licht des Glaubens zu lesen. Zudem ist er zutiefst menschlich – ein Mann des Gleichgewichts, offen und gleichzeitig klar in seiner Treue zur Lehre der Kirche. Er hat eine große Liebe zur Kirche.
Wie haben Sie sich gefühlt, als sein Name als Papst bekannt gegeben wurde?
Mich überwältigte eine unermessliche Freude und tiefe Rührung – es ist kaum in Worte zu fassen! Ich fühlte greifbar das große Geheimnis Gottes, der Seine Kirche ständig leitet. Es war ein Moment tiefen Glaubens und Dankbarkeit gegenüber dem Herrn. Gleichzeitig fiel es mir schwer zu realisieren: Der neu gewählte Papst ist jemand, den ich aus nächster Nähe kenne. Besonders beeindruckt hat mich das jubelnde Gedränge der Menschen auf dem Petersplatz – echte Freude!
Papst Leo XIV. hat das Motto „In illo uno unum“ („In dem Einen sind wir eins“) gewählt. Wie interpretieren Sie diese Botschaft im Zusammenhang mit dem synodalen Weg der Kirche, der von Papst Franziskus begonnen wurde?
In seiner ersten Ansprache am Abend des 8. Mai betonte Papst Leo XIV. sofort die Bedeutung der Einheit, das gemeinsame Unterwegs-Sein: „Hand in Hand mit Gott und miteinander gehen wir voran! Wir wollen eine synodale Kirche sein, eine Kirche, die unterwegs ist, die den Frieden sucht, die Nächstenliebe lebt und besonders denen nahe ist, die leiden.“
Er betonte auch, wie wichtig es ist, Brücke zu sein und den Dialog zu fördern. Papst Leo XIV. ist ein Mann des Zuhörens, der Unterscheidung und der Gemeinschaft.
Er nahm an den beiden Synodenversammlungen in Rom teil und drückte jetzt ausdrücklich sein Bestreben aus, den synodalen Weg fortzusetzen. Die synodale Kirche baut Gemeinschaft auf, weil sie missionarisch ist und berufen, Gottes Liebe sichtbar zu machen. Die in der Synode gemachte Erfahrung, die Einheit als Harmonie der Unterschiede und nicht als Uniformität zu gestalten, eröffnet einen bedeutenden Weg für die gesamte Kirche.
Ich habe große Hoffnung, dass mit Papst Leo XIV. die synodale, missionarische Kirche auf diesem Weg der Erneuerung ein Licht im Herzen der Welt sein kann. Aber das schafft sie nicht allein! Alle Getauften sind aufgerufen, sich gemeinsam mit ihm verantwortlich zu fühlen für die Mission der Kirche – jede und jeder entsprechend der eigenen Berufung.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für die Kirche unter der Leitung von Leo XIV., insbesondere im Hinblick auf die Rolle der Frau? Glauben Sie, dass der neue Papst den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg der Offenheit und Integration fortsetzen wird?
Papst Leo XIV. wird in Kontinuität mit Papst Franziskus stehen, aber auch neue Impulse setzen, basierend auf seiner eigenen Persönlichkeit und Erfahrung sowie den Herausforderungen, denen die Kirche in einer sich ständig verändernden Welt begegnet. Mich hat beeindruckt, wie sehr er den Frieden betont hat.
Im Hinblick auf die Rolle der Frau: Die positive Zusammenarbeit, die er mit drei Frauen im Dikasterium für Bischöfe erlebt hat, wird ihn sicherlich darin bestärken, den Frauen die Verantwortlichkeiten zu übertragen, die sie in der Kirche übernehmen können. Tatsächlich hat er uns Frauen stets großes Vertrauen entgegengebracht und uns als vollwertige Mitglieder in das Dikasterium einbezogen.
Ich wünsche ihm außerdem Aufmerksamkeit gegenüber den jungen Menschen: Sie sollen aktiv am Leben der Kirche teilnehmen!
Wie werden seine internationale Herkunft und seine missionarische Erfahrung sein Pontifikat und die Beziehung zu den verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften weltweit beeinflussen?
Sein internationaler Hintergrund, seine Tätigkeit als Generalprior seiner Kongregation und als Bischof in Peru sowie seine missionarische und pastorale Arbeit unter den Armen haben ihn maßgeblich geprägt: Er ist sehr offen für verschiedene Kulturen sowie für die verschiedenen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Realitäten weltweit. Diese Offenheit wird ihm helfen, angemessene Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden.
Auch seine Erfahrungen als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe sowie seine Mitarbeit in anderen Dikasterien werden ihm bei seinen Beziehungen zu allen Bischöfen weltweit zugutekommen, auch bei der Auswahl neuer Bischöfe. Ich bin überzeugt, dass er den Austausch zwischen den Ortskirchen fördern wird – wie es im Abschlussdokument der Synode angeregt wurde.
Das geweihte Leben wird in ihm als Ordensmann eine Stütze und einen Wegweiser finden, um immer mehr seinen spezifischen Beitrag auf dem Weg der kirchlichen Synodalität zu leisten.
Ich bin überzeugt, dass er die Kirche nach Papst Franziskus weiter beleben wird, indem er auf die Menschen zugeht, die sich ausgeschlossen und ausgegrenzt fühlen, die sich zu anderen Religionen bekennen und die danach streben, eine Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Geschwisterlichkeit aufzubauen.
Danke, Herr, für den neuen Hirten, den du der Weltkirche in der Person von Papst Leo XIV. geschenkt hast!