Worte finden, wenn es kriselt

Sr. Martina Nießner weiß, was Familien an- und umtreibt. Die 48-jährige Don Bosco Schwester leitet seit vielen Jahren den Kindergarten in Baumkirchen und gestaltet familienpastorale Angebote im Schloss Wohlgemutsheim, dem Geistlichen Zentrum der Schwestern vor Ort. Sie ist Kindergartenpädagogin, Elternbildnerin und seit letztem Jahr Family Counselor. Sie hilft Familien, Beziehungsprobleme zu lösen.
Interview: Karoline Golser
Foto: privat

Sr. Martina, du hast letztes Jahr die Ausbildung zum Family Counselor abgeschlossen. Warum hast du dich dazu entschieden, dich im Bereich Familienbegleitung weiterzubilden?
Als Kindergartenpädagogin und Elternbildnerin ist mir die Familienbegleitung seit vielen Jahren ein Anliegen. Mütter, Väter und Großeltern leisten Großartiges, und das nicht immer unter leichten Bedingungen. Immer wieder erlebe ich, dass Eltern an ihre Grenzen kommen. Allein Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen, ist schon eine enorme Herausforderung. Dazu kommen noch unvorhergesehene Ereignisse, wie zum Beispiel die letzten zwei Jahre Pandemie, die das Leben einer Familie zusätzlich erschweren.
Durch unsere familienunterstützenden Angebote in unserem Geistlichen Zentrum kommen wir immer wieder mit Eltern und ihren unterschiedlichsten Anliegen in Berührung.
Wir entdeckten das Ausbildungsangebot zum Family Counselor nach Jesper Juul. Der dänische Familientherapeut ist Mitbegründer der Internationalen Gesellschaft für Beziehungskompetenz (IGFB) und vertritt eine beziehungsorientierte, erfahrungsbasierte Haltung und Arbeitsweise.
Dieser Ansatz sprach mich sofort an, weil es in vielen Punkten mit unserem Verständnis von Familienbegleitung als Don Bosco Schwestern übereinstimmt. Im pädagogischen Konzept Don Boscos kommt es vor allem auf die „Beziehung“ und nicht so sehr auf die „Erziehung“ an.
Was macht ein Family Counselor?
In einem Family Counseling versuche ich, die Familienmitglieder dahingehend zu begleiten, dass sie sich im Miteinander zeigen können, dass sich Beziehungsdynamiken erkennen lassen und Worte für belastende Alltagsthemen gefunden werden. Kinder sind da sehr spürig, wenn Unausgesprochenes in der Luft liegt. Deshalb war es Jesper Juul wichtig, bei Familienthemen auch die Kinder in der Beratung dabei zu haben. Oft erkennt man an ihrem Verhalten, ob das grundlegende Konfliktthema angesprochen wurde, oder sich die Eltern immer noch im Kreis drehen.
Für mich ist es von großer Bedeutung, in der Begleitung „Räume“ zu eröffnen, in denen es den Familienmitgliedern möglich wird, einander zuzuhören, einander wahrzunehmen und sich einander zu zeigen.

Wann sollten Familien professionelle Beratung und Begleitung bei Beziehungsproblemen in Anspruch nehmen?
Im Alltag mit all seinen Herausforderungen fehlt oft die Zeit füreinander, und manchmal werden dann die „kleinen Stolpersteine“ in den Beziehungen immer größer. Da kann es hilfreich sein, sich solche Stolpersteine genauer anzuschauen, Gefühle dafür zu benennen, den eigenen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen und diese mitzuteilen. So gestaltet sich Beziehung. Es darf da sein, was ist, nur so kann sich etwas verändern.
Während der Ausbildung arbeiteten wir viel mit realen Themen der Kursteilnehmerinnen. Da konnte ich immer wieder erleben, dass es nicht in erster Linie darum geht, Probleme „zu lösen“ oder „wegzutherapieren“, sondern „auf den Tisch zu legen“. Dann erst kann etwas geschehen, und darin liegt dann auch die Chance für eine Veränderung.